1945 - 2021 (Annika Große Bockhorn)

Annika Große Bockhorn, Klasse 9a im Schuljahr 2020/2021

1945 – Auschwitz-Birkenau


Es war gegen 15 Uhr nachmittags, als er sie kommen hörte. Beunruhigt trat er aus seiner Baracke. Schon den ganzen Tag über konnte man Schüsse und Kampfeshandlungen in der Ferne vernehmen und nun kamen sie also auch hierher. Aber wer waren sie? Was machten sie hier? Gerade erst war das Lager in einer Nacht- und Nebelaktion fluchtartig geräumt worden. Warum? Seit ein paar Tagen machten Gerüchte die Runde, dass einige Frauen aus der Kommandantur gehört hatten, für die Deutschen würde es ernst werden. Sie sollen hektisch herumgerannt sein und eine Menge Akten vernichtet haben. Aber was das alles zu bedeuten hatte, wusste niemand so genau. Sollte es nach dieser langen Zeit hier ein Ende geben? Aber was sollte das schon heißen? Es konnte Monate dauern oder sogar Jahre, vielleicht aber behielten doch die Deutschen Europa in eiserner Hand, die sie alle vor Jahren in den Würgegriff genommen hatte und von Tag zu Tag fester zudrückte. Ein eisiger Windstoß holte ihn zurück aus seinen Gedanken. Er spürte, wie die Kälte durch seinen Körper kroch, bis jede einzelne Faser davon Kenntnis genommen hatte, dass immer noch Winter war und er quasi im Pyjama draußen stand. Er sollte reingehen, schließlich musste er nicht mehr arbeiten. Bei dieser absurden Tatsache zogen sich seine Mundwinkel unwillkürlich ein bisschen nach oben. Nicht viel. Aber doch mehr, als er sich die ganzen langen Jahre hätte träumen lassen. Sein Blick wanderte wieder in die Ferne, in die Gegend außerhalb der Zäune. So nah und doch so fern. Und dann sah er sie. Kleine schwarze Punkte am Horizont! Angestrengt kniff er die Augen zusammen, um die Umrisse zu definieren. Menschen? Pferde? Panzer? Das war … eine Armee! Sofort wurden seine Knie weich. „Kommt raus! Das müsst ihr sehen!“, wollte er mit lauter Stimme in die Baracke rufen, aber er brachte nur einige schrille Töne heraus, bevor seine Stimme ganz abbrach. Trotzdem steckte sein Bettkamerad den Kopf aus der Tür: „Alles in Ordnung bei dir? Komm lieber wieder rein, sonst …“ Er war seinem Blick gefolgt und sah ihn nun geschockt an: „Was zum Teufel …?“ „Sie sind gerade aufgetaucht“, presste er mit heiserer Stimme hervor. Jetzt wiederholte er seinen Entdeckungsruf, was er offen gestanden deutlich erfolgreicher machte. Einige schleppten sich aus den Baracken, um den Grund der Aufregung zu ergründen. Als sie begriffen, stießen sie wiederum besorgte Ausrufe aus und nach und nach versammelten sich die Häftlinge draußen. Junge Mädchen, Frauen mit kleinen Kindern an der Hand, Junge, Alte, Kranke. Alle so verschieden und doch gleich durch die Streifenanzüge, die Glatzen, die kraftlosen Körper und eingefallenen Gesichter. Viele waren bereits Muselmänner, eher tot als lebendig, und manche blieben verlassen von aller Kraft auf ihren Pritschen liegen. Alle sahen sich mit besorgten und verängstigten Gesichtern an und schienen stumm zu fragen, was das alles zu bedeuten hatte. Er wusste es nicht, sie wussten es nicht. Eine bedrückende Stimme legte sich über Birkenau. Sie wussten, dass etwas passieren würde. Doch was? Sie waren ratlos. Schweigend blickten alle dem sich nähernden Militär entgegen und warteten ab. Und er wartete mit ihnen. Was hätte er auch anderes tun sollen? Sich verstecken? Versuchen zu fliehen? Es hätte doch sowieso keinen Zweck gehabt. Ab und zu lief eine SS-Wache vorbei, aber es hatte den Eindruck, als schienen sie genauso wenig zu wissen, was das alles zu bedeuten hatte. Er fror, zitterte wie Espenlaub, seine Füße fühlten sich an, als wären sie nicht länger Teil seines Körpers. Aber er bewegte sich nicht vom Fleck, zu spannend war das Schauspiel. Sie kamen, näher und näher. Noch fünfhundert Meter, noch hundert Meter. Plötzlich kippte eine Frau vor ihm nach hinten um. Erschrocken konnte er sie gerade noch so auffangen. Behutsam legte er sie auf den Boden und fühlte ihren Puls. Erleichtert atmete er aus. Sie schien vor Schock nur in Ohnmacht gefallen zu sein. Ein paar andere Frauen, wahrscheinlich Freundinnen von ihr, kamen und trugen sie davon. Als er wieder aufschaute, waren sie da. Vor dem Zaun! Aber anstatt sie anzuschreien, zu schießen oder hereinzukommen, starrten sie die Häftlinge einfach nur an. War das Entsetzen in ihren Gesichtern? Ungläubigkeit? Für ein paar Sekunden schien es, als hätte jemand auf den Pause-Knopf gedrückt, um diese Szene für immer und ewig einzufangen. Zwei Gruppen, durch einen Zaun getrennt, die nicht zu wissen schienen, was sie voneinander halten sollten. Dann löste sich ein uniformierter Mann aus seiner Starre, drehte sich zu seinen Gefährten um und fing an zu sprechen. In den Reihen vor ihm schnappten einige überrascht nach Luft. Was war los? Was hatte er gesagt? Er sah seinen Freund fragend an, aber der schaute genauso verwirrt zurück. Plötzlich schrie jemand: „Das sind Russen! Sie sprechen Russisch!“ Was hatte er gesagt? Er versuchte, das Gesagte zu verarbeiten. Russisch! Das bedeutete … Er wagte es kaum auszusprechen. „Rettung.“ Seine Lippen formten das Wort, ohne seinen Verstand vorher zu fragen, ob das denn auch stimmen konnte. Konnte das möglich sein? War der Krieg vorbei? Konnte er nach Hause? Lebte seine Familie noch oder waren sie wie viele andere Juden …? Er mochte erst gar nicht daran denken. Wo konnte er nach ihnen suchen? So viele Gedanken überströmten sein Gehirn, als wären sie ihm die letzten drei Jahre verwehrt geblieben, irgendwo aufbewahrt worden und würden nun alle nach und nach ihre Aufmerksamkeit erfordern. Neben ihm kam langsam Bewegung in die Menge. Viele umarmten sich, weinten, weitere fielen in Ohnmacht und manche verharrten einfach nur an der Stelle, an der sie gerade standen, als hätten sie Angst, diese Wirklichkeit könnte bei der kleinsten Bewegung wie ein Traum zerplatzen. Die russische Armee marschierte nun auf das Lagertor zu und die Häftlinge strebten Richtung Ausgang. Er fühlte sich taub und unbeweglich, aber er wurde vom Strom mitgerissen. Alle, die noch dazu im Stande waren, wollten ins Freie, die anderen ließen sich entkräftet zu Boden fallen oder schleppten sich zurück in die Baracken, um auch den dort Gebliebenen die frohe Botschaft zu verkünden. Er blieb mit den anderen in vorsichtigem Abstand zum Tor stehen und wartete gespannt. Er wusste nicht, wo seine Kameraden waren, aber er würde sie später suchen. Am Tor hatten sich die letzten SS-Leute bewaffnet versammelt, aber sie konnten kaum Widerstand leisten. Ein paar Schüsse wurden gewechselt, mochten es die letzten in diesem elenden Krieg sein, dann kapitulierte die SS endgültig und die Tore wurden geöffnet. Alles, was sich danach ereignete, erlebte er wie in Trance: Die übrige SS wurde festgenommen, die Russen inspizierten das Lager, sprachen mit russischen Häftlingen, schickten Leute los, um hoffentlich Ärzte und Essen zu holen. Er aber ging langsam und bedächtig auf das Tor zu, durch das so viele Jahre lang Tag ein Tag aus ehemals freie Menschen hereingebracht wurden, um nie wieder hinauszukommen. Nun würde es sein Tor in die Freiheit sein. Er machte die Augen zu, holte tief Luft und überschritt vorsichtig die Schwelle. Kein Schuss, kein Hundegebell, nichts! Er war wirklich frei! Es fühlte sich so unwirklich an! Der Tag, von dem er so lange geträumt hatte, war wirklich gekommen. Es gab nicht mehr nur ein Heute, sondern auch ein Morgen und ein Übermorgen. Er war nicht länger ein Arbeitstier, sondern ein Mensch. Er fühlte sich plötzlich in eine Situation aus seiner Kindheit zurückversetzt. Sein fünfjähriges Ich stand neben seiner Mutter im Garten und ließ bedächtig den Schmetterling frei, der sich kurz zuvor auf wundersame Weise von einer Raupe in dieses wunderschöne Wesen verwandelt hatte. Seine Mutter nahm ihn in den Arm und sagte: „Siehst du, Wunder gibt es immer wieder. Oft schleichen sie sich an, still und leise, und dann plötzlich sind sie da mit ihrer ganzen Schönheit und Pracht.“

*  *  *

2021 – China, Xinjiang

Es war gegen 12 Uhr nachts, als sie um ihr Leben rannte, so schnell ihre Füße sie trugen. ,Weiter, weiter, weiter!‘ war ihre eindringliche Mahnung an sie selbst. Sie wusste, dass sie keine Zeit verlieren durfte. Sie wusste, dass es sich nur um Minuten handeln konnte, bis sie ihr Fehlen entdecken würden. In ihrer Panik übersah sie den Ast zu ihren Füßen, stolperte und fiel zu Boden. Mühsam rappelte sie sich auf und rannte weiter. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihr linkes Bein und es fühlte sich an, als würde irgendeine warme Flüssigkeit ihr Schienbein herunterrinnen. Blut! Aber sie hatte keine Zeit, jetzt anzuhalten. Sie musste weiter. Diese Aufgabe erforderte alle ihre körperlichen Ressourcen, ihre ganze Willenskraft und erfüllte sie von Kopf bis Fuß. Felder, Flüsse, Wälder zogen an ihr vorbei, doch leider hatte sie diesmal nicht die Zeit, ihre unsagbare Schönheit zu betrachten. Den Weg kannte sie nicht, aber sie orientierte sich so gut es ging an den Sternen, die die Wolken heute auf wundersame Weise freigaben, wie um ihr den Weg zu leuchten. Endlich, als sie bestimmt eine Stunde gerannt war, verlangsamte sie ihr Tempo. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten, ihr Bein schmerzte noch, aber sie durfte sich keine Verschnaufpause gönnen. Sie sog die kühle Nachtluft tief in ihre Lungen und lauschte der Stille der Natur. Wie friedlich es hier draußen doch war! Früher, als sie täglich nach draußen musste, um ihren Eltern auf der kleinen Farm zu helfen, war es eine Ausnahme gewesen, vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein. Jetzt erschien ihr diese Nachtwanderung wie ein kleines Wunder. Seitdem sie in dieses Lager gekommen war, hatte sie keinen Schritt mehr vor die Tür gesetzt. Wie lange war das schon her? Ein Jahr? Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem man sie festgenommen hatte. Es war am Morgen des 19. Juli gewesen, die Sonne schlummerte noch tief und fest hinter dem Horizont, als ein lautes Klopfen sie aus dem Schlaf riss. Wer konnte das sein? Um diese Uhrzeit? Das Klopfen wurde lauter, es hörte sich eher so an, als wollte jemand die Tür eintreten und dann Schritte, Geflüster, jemand – vermutlich ihr Vater – öffnete die Tür. Sofort trampelten irgendwelche Leute ins Haus. Dem Lärm nach zu urteilen, waren es bestimmt vier oder fünf. Eine böse Vorahnung überfiel sie. Waren das etwa die Kommunisten? Ihre Vermutung bestätigte sich, als einer der Unbekannten sagte: „Wo ist deine Tochter? Bring sie sofort her!“ Sie erstarrte. „Wieso wollen Sie …“, fing ihr Vater mit zitternder Stimme an, aber weiter kam er gar nicht. Die Eindringlinge waren schon damit beschäftigt, Türen auf- und zuzuschlagen auf der Suche nach ihr. Panik stieg in ihr auf. Sie musste fliehen! Durch das Fenster hinausklettern und dann? Ja dann? Wo sollte sie hin? Sie würden sie sowieso finden, schließlich waren an jeder Straßenecke Kameras angebracht. Ihre Tür wurde aufgerissen. „Da haben wir sie ja“, sagte ein uniformierter Mann gruselig grinsend. Er war groß und kräftig, seine Haare waren zurückgegelt und in seinem Gesicht prangte eine große Narbe, die quer über seine rechte Wange verlief. Mit seinem hässlich nach unten gezogenen Mund und der faltigen Stirn sah er aus wie eine Bulldogge. Dann ging alles ganz schnell. Man packte sie an Händen und Füßen und trug sie hinunter zur Haustür, während sie verzweifelt versuchte, sich zu wehren. Ihre Mutter schrie wütend, ihr kleiner Bruder weinte und ihr Vater stammelte: „Aber warum? Ich verstehe das nicht!“ Mr. Bulldogge antwortete spöttisch: „Da sollten Sie mal Ihre Tochter fragen. Nur zu dumm, dass diese gerade verhindert ist.“ Mit diesen Worten wurde sie in einen Wagen gestoßen, der mit ihr an Bord davonbrauste. Das Letzte, was sie sah, war der schmerzerfüllte Blick ihres Vaters, der zu fragen schien: „Was hast du getan?“ Sie wusste genau, was sie getan hatte. Am Tag zuvor hatte sie bei einer Freundin übernachtet, weshalb sie ihren Gebetsteppich mitgenommen hatte. Von der Regierung war es ihnen vor Jahren verboten worden zu beten, geschweige denn einen Gebetsteppich zu besitzen. Überhaupt durften Uiguren nichts mehr praktizieren, was mit ihrer Religion zu tun haben könnte, und wurden strengstens überwacht. Ihre Familie betete immer heimlich in einem fensterlosen Raum ihres Hauses, was nie aufgefallen war. An diesem Tag aber wollte sie sich schon von ihrer Freundin verabschieden, als ihr einfiel, dass sie den Teppich bei ihr vergessen hatte. Also lief diese nochmal ins Haus und brachte ihn ihr heraus. In diesem kurzen Moment, als sie den Teppich in ihren Rucksack gleiten ließ, musste sie eine Kamera eingefangen haben. Und wegen dieser Unvorsichtigkeit passierte das, wovor sich alle Uiguren fürchteten. Die Inhaftierung in eines der sogenannten ,Fortbildungszentren‘. Wenn man sie fragte, kam es eher einem Konzentrationslager gleich. Wegsperren in dunkle Zellen, Vergewaltigung, Folter mit elektrischen Knüppeln, Folter mit großen Nadeln, Folter mit allen nur erdenklichen Methoden. Kaum ein Tag verging, ohne eine dieser Demütigungen. Wollte man das Schlimmste verhindern, musste man irgendwelche Lobeshymnen der kommunistischen Partei aufschreiben, auf Knopfdruck fließend Mandarin sprechen können und alle Spielchen und Ideen ihrer Aufseher ertragen und über sich ergehen lassen. Ob beim Lernen, Schlafen, beim Essen, es verging keine Sekunde, in der man nicht von einer Kamera oder einem Aufseher überwacht wurde. Ständig lebte sie in Angst und traute sich nicht, irgendetwas zu sagen, aus Furcht, dafür bestraft zu werden. Einmal pro Woche bekamen sie und die anderen Frauen aus ihrem Schlafsaal eine Spritze, die, wie sie später herausfand, wohl ihre Regelblutung aussetzen ließ. Tränen liefen ihr jetzt über die Wangen bei all diesen schrecklichen Erinnerungen. Alles in ihrem Körper krampfte sich zusammen, versuchte verzweifelt, die Vergangenheit abzuschütteln, als wäre sie nie da gewesen. Aber sie war da und würde sie wohl ihr ganzes Leben lang verfolgen. So eine tiefe Wunde, sie würde sich wohl nicht schließlich lassen. Und heute dann die einmalige Chance, aus diesem Leben zu fliehen. Zufällig hörte sie gegen Mittag zwei Aufseher über die Kameras sprechen. Neugierig belauschte sie das Gespräch und fand heraus, das die Kameras um kurz vor Mitternacht einen Moment abgeschaltet werden würden, damit beim Stromanschluss irgendetwas ausgebessert werden konnte. Sie traute ihren Ohren kaum! Sollte sie nach so langer Zeit endlich hier rauskommen? Als der Mond hoch genug stand, dass es Mitternacht sein konnte, schlich sie sich leise nach draußen. Sie wusste, dass sie ein hohes Risiko einging. Würde sie entdeckt, müsste sie wahrscheinlich sterben. Aber eine bessere Gelegenheit würde sie wohl nie mehr bekommen. Sie huschte aus dem Gebäude, wobei sie geschickt den Wachen auswich, die ihr entgegenkamen, drückte sich draußen an der Wand entlang über den Hof und hoffte inständig, dass die Lücke im Stacheldrahtzaun noch da war, die sie bei ihrer Ankunft gesehen hatte. Und tatsächlich! Sie war klein, sehr klein und kaum zu erkennen, wenn man nicht danach Ausschau hielt, aber sie war da. Sie musste erst noch die Erde mit ihren Händen darunter weggraben, dann hatte sie es geschafft. Vor ein paar Tagen hätte sie sich nie träumen lassen, dass diese Qual ein Ende haben würde. Jetzt musste sie nach vorne blicken. Sie würde versuchen, in die Türkei zu kommen, so wie ihre Familie es vor ihrer Festnahme geplant hatte. Ob sie schon dort waren? Oder waren sie auch inhaftiert worden, aus Sippenhaftprinzip? Sie schob diesen Gedanken beiseite. Nein, bestimmt waren sie schon kurz nach dem 19. Juli aufgebrochen, um sich in Sicherheit zu bringen. Schließlich erwartete ihre Mutter ihr drittes Kind, was in China und zudem noch als Uigurin strafbar war. Ob es schon auf der Welt war? Bestimmt war es das! Bei dem Gedanken wurde ihr Herz ganz warm und ihre Anspannung löste sich etwas. Nie hätte sie sich träumen lassen, noch einmal so eine Hoffnung und Zuversicht zu verspüren. Sie wusste nicht, wie es weiterging, ob sie in die Türkei kam, ob sie ihre Familie finden konnte, wie ihr nächster Tag aussah. Sie wusste nur eines: Heute Nacht war ein Wunder geschehen und dafür war sie unendlich dankbar.

Erklärungen:

Am frühen Nachmittag des 27. Januar 1945 erreichte die Rote Armee Auschwitz-Birkenau, wo vor allem viele Frauen und Kinder gefangengehalten wurden. Klar ist, dass bei der Befreiung der Lager von Auschwitz vereinzelte Kampfhandlungen stattfanden, bei denen die sowjetische Armee 231 Tote verzeichnete. Augenzeugen berichteten ebenfalls, dass die Häftlinge erst Angst vor den nahenden Rettern hatten, da sie natürlich nicht wussten, wer sie waren. Einige sollen sogar in Ohnmacht gefallen sein. Wie die Befreiungsaktion genau ablief, weiß ich nicht, und daher ist sie in dieser Geschichte auch frei erfunden. Als „Muselmann“ bezeichneten die Häftlinge Mitinhaftierte, die bereits sehr nahe dem Tod waren und für die es kaum mehr Hoffnung gab.

Der zweite Teil der Geschichte spielt in Xinjiang, China in der heutigen Zeit. Bereits vor einigen Jahren kam der Verdacht auf, dass die chinesische Regierung in der Provinz Lager eingerichtet hat, in der die Uiguren auf brutalste Weise dazu gezwungen werden, ihre Religion und Kultur abzulegen und Mandarin zu lernen. Die Regierung wirft diesen Terrorismus und Separatismus vor. Die Uiguren sind ein Turkvolk, das hauptsächlich in Xinjiang lebt und in seiner Geschichte häufig in Machtkämpfe mit China verwickelt war. Seit 1955 ist Xinjiang ein autonomes Gebiet. Auslöser der Lager soll ein von einem Uiguren verübter Selbstmordanschlag sein, bei dem 30 Leute ums Leben kamen. Außerdem hat es noch weitere terroristische Anschläge gegeben. Allerdings ist mittlerweile aus geleakten Dokumenten offiziell bekannt, dass ein Großteil der Gefangenen keinerlei terroristisches Verhalten aufweist, sondern einfach wegen Religionsausübung oder anderer abstruser Dinge verhaftet wurde. Durch Augenzeugenberichte sind auch die grausamen Folterungen und Vorgehensweisen gegen die Uiguren ans Licht gekommen. Aber die chinesische Regierung weist die vielen Vorwürfe zurück und beteuert, dass es sich lediglich um „Fortbildungszentren“ handle, in denen sich die Uiguren freiwillig aufhalten würden. Das Schicksal der Uigurin in meiner Geschichte sowie ihre Fluchtmöglichkeit habe ich mir ausgedacht, aber dennoch stimmen viele Punkte mit den bekannten Fakten überein.

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