Insula
Luna Kröber (Klasse 7d im Schuljahr 2019/2020)
Insula
Letschert sitze ich im Klassenzimmer und frage mich, warum ich überhaupt hier bin: Ich bin müde, ich bin verschnupft, ich will Ferien!
Meine Lateinlehrerin redet irgendwas von „arena“. Irgendjemand wird aufgerufen. Mist, dieser Jemand bin ich.
„Ähm, ähm.“ Mehr kommt von mir nicht.
„Sand!“, flüstert der lange Alex neben mir.
„Richtig, Alex, aber ich habe Luna gefragt.“
„Aber ich hab’s gewusst!“, kontert mein Mitschüler und grinst frech.
„Luna, pass besser auf!“, meint Frau Sonderegger und fährt mit dem Stoff fort.
„Jaja“, nöle ich zur Antwort und wende mich voll und ganz meinem Zauberwürfel zu, den ich schon die ganze Zeit unter dem Tisch drehe.
„Wenn er doch nur wirklich zaubern könnte!“, denke ich mir, als gerade Angelina aufgefordert wird, das Wort „insula“ zu übersetzen.
Ha! Insel! Das hätte ich gewusst! Oh ja, eine Insel, das wäre schön, ich wünschte, ich wäre auf einer Insel, ganz weit weg. Nur ich und mein Zauberwürfel.
Plötzlich wird mein wunderliches Drehdings, das ich unablässig unter der Bank bewege, warm. Und noch wärmer. Und noch viel wärmer. Ich will ihn anhalten, stoppen, aber er dreht sich wie von selbst immer weiter! Was zur Hölle? Irritiert beobachte ich das Wirbeln in meinen Händen.
Doch auf einmal hält er an. Ich blicke auf einen Würfel, der nicht mehr blaue, grüne, weiße, orange und rote sondern nur noch gelbe Felder hat. Und er ist nicht mehr aus Plastik, sondern aus einem sonderbaren, krümeligen, Sandstein ähnlichen Material. Als ich versuche ihn zu drehen, fällt er auseinander und rieselt durch meine Finger auf den Boden. Sand? Oh Mist, das gibt Ärger! Ich sehe mich um, aber keiner hat etwas gemerkt, alle blicken nach vorne und folgen dem Unterricht.
Noch immer rieselt Sand aus meinen Händen auf den Boden. So groß war der Zauberwürfel doch gar nicht. Und wie kann das überhaupt sein? Meine Füße sind schon gänzlich von Sand bedeckt. So kann das doch nicht weitergehen!
So fest ich kann schüttle ich meine Hände, doch das war eine blöde Idee. Der Sand landet überall, und wo er landet, bilden sich immer größere Sandhaufen. Sie wachsen einfach von selbst, wie Zellen bei einem Tumor! Das hatten wir gerade in Bio! Von wegen, ich pass nicht auf!
Irgendwas stimmt hier nicht, halluziniere ich? Hier ist es plötzlich so warm, Schweiß tropft mir von der Stirn. Ich trinke jetzt erstmal was, vielleicht wird es dann besser.
Mit zitternder Hand greife ich nach meiner Flasche, die vor mir auf dem Tisch steht. Ich drehe den Deckel ab und versuche zu trinken. Doch die Flasche rutscht aus meinen schwitzigen Händen und kullert in den Sand, der schon den ganzen Klassenzimmerboden bedeckt. Das Wasser aus der Flasche bildet kleine Pfützen, die immer größer und größer werden. Fasziniert sehe ich zu, wie sich das Wasser um meine Füße schmiegt.
Ich blicke mich zu Stella um und will sie fragen, ob sie auch sieht was hier vor sich geht, doch da ist keine Stella mehr. Hinter mir ist nur weiter Horizont, keine Klassenzimmerwand, nur Sand und Meer.
Schnell drehe ich mich wieder nach vorne, doch statt der Tafel sehe ich nun auch hier nur Sand und Meer, genauso wie links und rechts von mir. Auch Alex ist verschwunden, neben mir steht nun eine mächtige Palme mit riesigen grünen Palmwedeln und spendet mir Schatten. Ich sitze nicht mehr auf einem harten, pappigen Stuhl, sondern kuschle mich in eine gemütliche Strandliege. Ich kann mein Glück kaum fassen! Eine Insel nur für mich alleine!
Ich schließe meine Augen und genieße den Moment: es ist wohlig warm, Wasser streicht um meine Füße, Möwen kreischen irgendwo weit weg und fast wäre ich eingeschlafen, wenn nicht wie aus dem Nichts eine sanfte Stimme erklungen wäre. „Guten Morgen!“
Ich öffne meine Augen und sehe eine Kellnerin, die mich sehr freundlich anlächelt und mir etwas entgegenreicht. OH, ein Cocktail! In einem bunten viereckigen Gefäß. Das ist aber nett!
„Dankeschön“, sage ich und nehme das Getränk an. Aber das ist ja gar kein Glas, sondern ein Würfel, ein Plastikwürfel. Mein Zauberwürfel? Verdutzt blicke ich auf, und sehe in das Gesicht meiner Lehrerin, die mich erwartungsvoll ansieht.
„Ähm, Insel?“, rate ich ins Blaue hinein und setzte mich wieder gerade hin.
Frau Sonderegger nickt. „Richtig, Luna, und ich dachte schon, du hättest geträumt.“
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