Abschied nehmen (Luna Kröber)
Luna Kröber (Klasse 6b im Schuljahr 2018/2019)
Abschied nehmen
Hallo mein lieber Freund,
in den letzten Tagen haben wir uns kaum gesehen. Ich musste sehr viel an dich denken, weshalb ich dir diesen Brief schreibe.
Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben? Mann, das ist schon so lange her! Es war auf dem Schulhof. Ich sah dich, wie du alleine in einer Ecke saßest und in Gedanken versunken dein Pausenbrot gegessen hast. Du hast so einsam ausgesehen, das tat mir leid. Deshalb bin ich zu dir gegangen und habe „Hallo!“ gesagt. Aber du hast nichts erwidert.
Da habe ich mich einfach zu dir gesetzt. Es gongte, du bist wortlos aufgestanden und im Schulhaus verschwunden.
Am nächsten Tag warst du wieder alleine, an genau der gleichen Stelle, im hintersten Bereich des Schulhofs, zwischen dem Zaun und dem Buchsbaum, der wie ein Buch zugeschnitten war. Ich wollte schon zu dir gehen, doch da kamen gerade zwei andere Kinder auf dich zu. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie deine Freude, die dich suchten, die sich zu dir setzen wollten. Sie blieben kurz vor dir stehen und rannten dann plötzlich lachend davon. Du lachtest nicht. Im Gegenteil, dir liefen Tränen über deine Wangen. Es gongte und ich konnte dich darum nicht fragen, was los war. Ich hätte dich gerne getröstet.
Tags drauf saß ich gleich zu Beginn der großen Pause in deiner Ecke und wartete dort auf dich. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf bist du in meine Richtung gegangen, während alle anderen Kinder in die entgegengesetzte Richtung rannten. Als du mich auf deinem Platz fandest, habe ich dich angelächelt. Du hast kurz gezögert und dann hast du dich neben mich gesetzt.
„Warum hast du gestern geweint?“, fragte ich zögernd, und als ich schon dachte, du würdest mich ignorieren, kam ein zaghaftes „Weil.“ von dir.
Und dann hast du mir dein Herz ausgeschüttet. Ganz leise, damit es niemand sonst hört, erzähltest du mir schluchzend, dass dich die anderen immer ärgern, dich nicht mitmachen lassen oder dich auslachen. Egal was du versuchtest, sie ließen dich einfach nicht dazugehören. Außer wenn du was Süßes dabei hattest, wie Kuchen oder Schokolinsen, dann sagten sie: „Gibst du mir was ab, wir sind doch Freunde! Oder?“ Und jedes Mal hast du geteilt und jedes Mal gingen sie dann wieder weg.
Ich tröstete dich. „Wollen WIR Freunde sein?“, bot ich dir an. „Du musst mir dafür auch nichts geben.“ Da hast du gelächelt.
Von dem Tag an, waren wir jede freie Minute zusammen! Es gab nur uns, die anderen waren egal. Wir waren die besten Freunde, die man sich vorstellen kann. Uns sind die tollsten Spiele eingefallen, wir hatten so viel Spaß. Was haben wir gemeinsam gelacht! Nur wir zwei.
Okay, lustig war es nicht immer, denn die anderen haben dich ja weiterhin geärgert. Aber jetzt hattest du mich! Und zusammen sind uns richtig tolle Sachen eingefallen, wie du damit umgehen konntest.
Denk nur an die Sache mit dem Uno-Spiel! Wir haben total gerne Uno gespielt. Als die anderen einmal sahen, wie du die Spielkarten auf dem Boden in deiner Ecke für uns vorbereitet hattest, fanden die das voll albern und lachten dich aus. Sie haben dir einen Ball an den Kopf geworfen und die Karten dann im ganzen Pausenhof verteilt. Du hättest fast losgeweint, wärst am liebsten auf die Blödis losgegangen, aber ich hab dir schnell was ins Ohr geflüstert und wir haben einfach ein Spiel daraus gemacht: Glaub-auf! Da musste man so schnell wie möglich alle Karten aufsammeln und wer die meisten hatte, der war der Sieger. Du hast gewonnen. Und ich hab dir gratuliert. Das machen Freunde so.
Erinnerst du dich an unser Tic Tac Toe? Das haben wir auch oft in deiner Ecke vom Pausenhof auf dem Boden gespielt. Stöcke und Steine lagen ja genug rum! Du hast das Spielfeld mit einem Ast in die Erde geritzt und wir haben mit Blumen und Steinen unzählige Runden gespielt. Du hast oft so getan, als hätte ich gewonnen. Das war echt lieb von dir, denn eigentlich warst du immer viel besser. Leider mussten wir aus deiner Ecke ausziehen, als zwei Jungs aus deiner Klasse es lustig fanden, auf das Spielfeld zu pinkeln. Wir suchten drei große Pausen lang, dann hatten wir sie gefunden: die beste Ecke aller Zeiten, UNSERE Ecke!
In unserer Ecke musste ich dich auch oft trösten, aber dazu ist ein Freud ja auch da, nicht nur zum Spaßhaben! Am schlimmsten war es für dich, wenn die Kinder in der Bank vor dir das Dreh-dich-um-und-guck-voll-fies-Spiel spielten. Das spielten sie leider oft mit dir, nicht nur im Unterricht, wenn der Lehrer grade nicht hinguckte. Auch wenn du in der Garderobe „Guten Morgen!“ sagtest, drehten sich einige um und guckten dich böse an, ohne zurück zu grüßen. Irgendwann hast du mit dem Grüßen aufgehört, die Blicke blieben trotzdem. Blicke können sehr weh tun. Aber ich war immer für dich da, wenn du dich in unserer Ecke vor deren Blicken verkrümelt hattest. Dann erfanden wir die schlimmsten Schimpfwortnamen für die oder dachten uns aus, wie wir sie zurückärgern könnten. Haben es aber nie gemacht, wir wollten ja nicht so sein wie sie.
Zu Hause bei dir hatten wir vor denen Ruhe und sehr viel Spaß! Denk doch nur mal daran, wie wir versucht haben, in eurer Küche Schleim zu machen! Es endete in einem Riesenchaos. Der blaue Schleim in deinen Haaren hat übrigens super zu deinen Augen gepasst. O Mann, waren deine Eltern sauer! Erst wolltest du ihnen erklären, was wir vorhatten, aber sie meinten, du solltest mich da raushalten. Und da hast du alle Schuld auf dich genommen und einen Riesenärger bekommen. „Ich beschützte meinen Freund, das tun Freunde so“, hast du dann zu mir gesagt.
Deine Eltern fanden unserer Freudschaft nicht besonders toll. Sie meinten, du solltest dich lieber mit Kindern aus deiner Klasse anfreunden. Sie sagten sogar, ich wäre nicht gut für dich, dass ich einen schlechten Einfluss auf dich haben würde. Doch du meintest, dass ein Freund jemand ist, der es einem leichter macht, und deshalb wäre ich dein Freund. Denn mit mir wäre alles leichter. Danke dafür, das hast du echt schön gesagt. Ich finde auch, dass mit dir alles leichter und besser war. Wir waren echt ein megasupergeniales Wir!
Aber seit einigen Tagen gibt es da dieses neue Kind in deiner Klasse. Neben dir war der einzig freie Platz und deshalb setzte es sich an deinen Tisch. Die anderen fanden den Namen seltsam und manche haben gekichert, du nicht. Dafür hat dich das Kind dankbar angeguckt.
Als dir in der Pause natürlich nur ganz aus Versehen ein Bein gestellt wurde und ich gerade kommen wollte, um dich zu trösten, da war dieses Kind schon da. Es hat dir aufgeholfen, dich zur Bank begleitet und dich an meiner Stelle getröstet. Du hast mir später erzählt, dass dieses Kind nett ist.
Am nächsten Tag bekamst du von ihm ein Stück von einem Müsliriegel ab. Was hast du dich gefreut. Sonst teilte niemand mit dir. Und als die Mädchen vor dir das Dreh-dich-um-und-guck-voll-fies-Spiel anfingen, hat dieses Kind so unglaublich fies zurück geguckt, dass die Glotzer total baff waren. Du musstest kichern.
Seitdem seid ihr immer öfter zusammen.
Ihr esst zusammen euer Pausenbrot, flüstert und lacht miteinander. Und ihr spielt Tic Tac Toe und Uno, in unserer Ecke, denn die hast du diesem Kind gezeigt.
Gestern vor der Schule wollte dich jemand ärgern, da baute sich dieses Kind vor ihm auf und rief: „Lass meine beste Freundin in Ruhe!“ Der Blödmann verzog sich und dann habt ihr euch so angestrahlt und du hast so glücklich ausgesehen.
In dem Moment wusste ich, dass du mich nun nicht mehr brauchst.
Da ist jetzt jemand, der dich beschützen kann, der mit dir Spaß hat und der dich mag, so wie du bist, der ein echt guter Freund ist, ein echter Freund. Ihr seid ein tolles Wir!
Und ich bin sehr glücklich darüber. Wir hatten die tollste Zeit der Welt, meine liebe Freundin, doch nun ist es Zeit für mich, Abschied zu nehmen. Denn jetzt ist eure Zeit gekommen.
Ich weiß, dass ihr für immer so tolle beste Freunde bleibt wie gerade. Das fühle ich, Freunde können sowas. Auch wenn du mich nicht mehr siehst, bin ich immer für dich da. Aber ich hoffe, du brauchst mich nie wieder.
Leb wohl,
dein unsichtbarer Freund.
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