Die Wahrheit über meine Freiheit
Annika Große Bockhorn (Klasse 8a im Schuljahr 2019/2020)
Schanzer Schreibwettbewerb 2020 – 3. Platz in der Altersgruppe 7.–9. Klasse
Die Wahrheit über meine Freiheit
Sorgfältig fahre ich meine Lippen mit dem violetten Lippenstift nach, den ich gestern noch schnell in der Stadt gekauft habe. Eigentlich stehe ich eher auf etwas mattere Töne, aber Ashley hatte darauf bestanden, dass ich genau diesen Farbton nehmen soll. „Entweder richtig oder gar nicht!“, hatte sie bestimmend gesagt und ich hatte wie immer seufzend nachgegeben. Jetzt verfluche ich mich dafür, dass ich mich so leicht dazu habe überreden lassen, denn dieser knallige Farbton passt wirklich gar nicht zu meinem blassen Gesicht. Und überhaupt – mein Outfit ist einfach nur lächerlich: Ich trage ein bauchfreies Top mit Fransen und einen Minirock im Leopardenmuster, der so kurz ist, dass ich lieber nicht weiter ins Detail gehe. So stehe ich schon eine Viertelstunde an der Bushaltestelle – nicht dass das bei zehn Grad schon schlimm genug wäre! Dazu trage ich noch meine violetten Acht-Zentimeter-High-Heels, die ich schon den ganzen Sommer über nicht mehr getragen habe und die nun deutlich zu klein geworden sind. Doch nichts wäre schlimmer als ohne hohe Schuhe in die Schule zu kommen! Also hab ich meine Füße hineingezwängt und versuche nun, den stechenden Schmerz an meinen Fersen zu ignorieren. Wenigstens passt der Violett-Ton zu meinem Lippenstift!, tröste ich mich selbst und reibe mir fröstelnd über die Arme.
Genau hier hat vor einem Jahr alles angefangen. Meine kleine Schwester und ich waren nach der Scheidung meiner Eltern mit meiner Mutter in eine andere Stadt gezogen, in ein anderes Haus, eine neue Umgebung. Es war wie ein neues Leben, das begonnen hatte. Ein Leben, das ich nicht führen wollte, das ich nicht beginnen wollte. Es war wie ein Alptraum, in dem ich gefangen war. Ich musste allen meinen Freunden auf Wiedersehen sagen, meinen Lehrern, meinen Nachbarn – und stand am ersten Schultag völlig traurig und vereinsamt an der Haltestelle, auf meinen neuen Schulbus wartend, der mich zu meiner neuen Schule bringen sollte. Mit völlig wackeligen Knien bin ich schließlich in den Bus eingestiegen und hab mich auf den damals einzigen freien Platz gesetzt – neben Ashley und Kiara. Sie haben sofort angefangen mit mir zu reden, sich für mich zu interessieren. Das erste Mal seit Wochen fühlte ich mich beachtet, weshalb ich Vertrauen zu ihnen fasste. Sie boten mir an, mich in ihre Clique aufzunehmen, und ich begann wirklich alles dafür zu tun, dass sie mich mochten. Sie waren ganz anders als die Freundinnen, die ich bisher gehabt hatte, aber ich meine – andere Städte, andere Sitten. Nur den Anschluss zu meinen anderen Klassenkameraden fand ich irgendwie nicht. Egal, was ich versuchte – auf sie zugehen, sie ansprechen, ihnen Komplimente machen –, ich wurde immer nur missbilligend angeschaut und übergangen. Nach ein paar Wochen gab ich es dann auf und hing mich von da an nur noch mehr an Ashley und Kiara, als ich es ohnehin schon tat. Sie mochten zu meiner Freude meine Anwesenheit und ...
Die quietschenden Reifen des Busses reißen mich aus meinen Gedanken. Schnell werfe ich mir meine Schultasche über und steige seufzend in den wartenden Bus ein. „Lizzzzzzyyy“, ruft mir eine vertraute Stimme entgegen, „wie schön, dich wiederzusehen!“ Und schon finde ich mich in einer festen Umarmung wieder. „Wir haben uns doch gestern erst gesehen!“, antworte ich, nach Luft schnappend, während ich mich von Kiara loslöse. „Aber das ist doch schon über zwölf Stunden her!“, sagt Ashley empört. „Ja, schon“, versuche ich mich rauszureden, „aber ...“ Ich werde von einem entsetzten Aufschrei von Kiara unterbrochen: „Du hast ja deine Nägel gar nicht angeklebt!“ Hitze steigt in meinem Kopf auf. Ich hatte Kiara gestern hoch und heilig versprechen müssen, mir die lila Kunstnägel noch anzukleben, aber ich hatte wirklich keine Lust, mit diesen unpraktischen Dingern rumzulaufen. Also habe ich sie heute Morgen ganz „versehentlich“ auf meinem Schreibtisch vergessen. Scheinbar betroffen schlage ich mir mit der flachen Hand vor die Stirn: „Ach, ich Schussel! Ich wollte sie heute in der Früh noch einpacken, weil ich gestern keine Zeit mehr hatte, sie anzukleben, aber dann habe ich es vergessen!“ Bangend warte ich auf Kiaras Reaktion. Doch anstatt mir hier und jetzt die Freundschaft zu kündigen, hellt sich ihr Gesicht plötzlich auf: „Ich habe ja immer meine Reservenägel in meiner Schultasche, falls einer meiner langen Naturnägel abbricht. Komm, ich mach sie dir drauf!“ Wenn Kiara sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, ist es unmöglich, es ihr auszureden, und so lasse ich den Rest der Fahrt eine Nagelkosmetik von Ashley und Kiara über mich ergehen.
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Als wir das Schulgebäude betreten, erwartet uns das übliche Gedränge wie an jedem ersten Schultag. Doch Ashley und Kiara steuern zielstrebig auf unseren Stammtisch in der Cafeteria zu, ganz nah an der Tür, um jeden, der hereinkommt, genauestens beobachten zu können. Stöhnend lässt sich Ashley auf einen Stuhl fallen: „Ich bin so kaputt und meine Füße tun echt weh. Könntest du uns nicht eine Limo holen, Lizzy? „Geht klar!“, murmle ich seufzend und stapfe los in Richtung Verkaufstheke. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass ich diesen Dienst für gewöhnlich übernehme. Vor dem Getränkeautomaten hat sich wie immer eine lange Schlange gebildet, in die ich mich nun ebenfalls einreihe. Gerade habe ich begonnen skeptisch meine lila Fingernägel zu betrachten, als mich eine seltsam vertraute Stimme hinter mir aufschrecken lässt: „Liz, wie schön dich zu sehen! Ich hab schon überall nach dir gesucht!“ Wer um alles in der Welt sollte nach mir Ausschau halten wollen? Und überhaupt – keiner nennt mich hier Liz! Überrascht drehe ich mich um und schaue direkt in ein strahlendes, von Sommersprossen übersätes Gesicht. Das Mädchen vor mir hat rotes lockiges Haar, funkelnde grüne Augen und eine niedliche Stupsnase. Irgendwo habe ich diese Person doch schon gesehen! Nur wo? Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Das ist ja Tanja! Eine alte Klassenkameradin und ehemalige gute Freundin von mir! „Was machst du denn hier?“, bringe ich fassungslos hervor. „Die Arbeitsstelle meines Vaters wurde verlegt und deshalb mussten wir hierher umziehen. Da ich ja wusste, auf welche Schule du gehst, hab ich meine Eltern so lange bearbeitet, bis sie mir schließlich erlaubt haben, auch auf diese Schule zu gehen! Und da bin ich!“ Als von mir keine Reaktion kommt – ich bin gerade einfach zu überfordert mit der Situation –, fügt Tanja hinzu: „Wieso hast du eigentlich nach deinem Umzug den Kontakt zu mir abgebrochen?“ In diesem Moment wird gerade der Getränkeautomat frei und so beginne ich erst einmal damit, drei Limos auszuwählen und das Geld einzuwerfen, um mir die Antwort zu ersparen. Der Grund für meinen radikalen Kontaktabbruch zu den Leuten meiner alten Heimat war dieser Stich im Herzen, den ich ständig verspürte, wenn ich hörte, was meine Freunde gemeinsam erlebt hatten. Eis essen hier, Geburtstagsparty da ... Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus – und die einzige Möglichkeit, dieses Gefühl der Sehnsucht zu beenden, war, den Kontakt ganz abzubrechen. Zuerst ging es mir danach noch schlechter. Doch dann lernte ich zum Glück Ashley und Kiara kennen. „Für wen sind denn die anderen beiden Limos?“, will Tanja von mir wissen, die ihre unangenehme Frage wohl schon wieder vergessen hat. „Oh, für Ashley und Kiara“, antworte ich und deute mit einer kurzen Handbewegung zu unserem Tisch, an dem die beiden schon genervt zu uns herüberschauen. Tanja schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Das sind deine Freundinnen? Ich hätte eigentlich schon gedacht, dass deine Freundinnen etwas neutraler aussehen.“ „Was willst du damit sagen?“, fahre ich sie etwas gereizt an. „Na ja, wie soll ich das sagen? Etwas weniger wie überschminkte Modepüppchen!“ Hörbar schnappe ich nach Luft. Was soll das denn für eine unerhörte Bezeichnung sein? „Du hältst mich also für eine übergeschnappte Tussi? Das ist ja wohl die Höhe! Schönen Tag noch!“, fauche ich zurück, drehe mich abrupt um und lasse Tanja verdutzt hinter mir stehen. Die kann mir doch gestohlen bleiben! Zurück an unserem Tisch fragen Ashley und Kiara schon neugierig, was das denn für eine Langweilerin gewesen sei. „Ach, nur eine alte Mitschülerin von mir, die jetzt auch in unsere Klasse geht, weil sie umgezogen ist“, winke ich ab. Ich habe echt keine Lust noch länger über diese Person zu reden.
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Als ich zehn Minuten später vollbepackt mit drei Schultaschen – Ashley und Kiara wollten noch schnell auf die Toilette gehen – das Klassenzimmer betrete, sehe ich Tanja lachend neben Lisa sitzen und Urlaubsfotos auf Lisas Handy anschauen. Gerade machen sie sich über Lisas Hund lustig, der sich vom gedeckten Familientisch bedient. Das also auch noch! Ich hätte gedacht, dass Tanja anfangs ganz alleine sein würde und ich mich womöglich um sie kümmern müsste. Aber das hier ist noch viel schlimmer! Wieso gelingt es ihr innerhalb von zehn Minuten, neue Freunde zu finden, während ich es in einem ganzen Jahr nicht schaffe – einmal abgesehen von Ashley und Kiara? Das ist einfach ungerecht! Missmutig lasse ich mich auf meinen Stuhl fallen und warte auf den Beginn des Unterrichts.
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Nach der sechsten Stunde gehen Ashley, Kiara und ich wieder zurück zur Mensa, um uns unser Mittagessen zu holen. In den Pausen habe ich Tanja so gut wie möglich ignoriert und so getan, als gäbe es sie gar nicht. Aber es hat schon wehgetan, sie mit den anderen über irgendwelche Witze lachend zu sehen, als wären diese Leute ihre seit Jahren bekannten Vertrauten. Gerade stelle ich uns dreien jeweils ein Tablett vom Buffet zusammen, als sich Tanja neben mich schiebt: „Hey!“ „Was ist?“, murmle ich genervt, während ich auf jedem Teller eine gleich große Person Salat anhäufe. „Schon wieder für deine Freundinnen?“, fragt Tanja mit einem Kopfnicken in Richtung Teller. „Ja, für die überschminkten Modepüpchen“, antworte ich schnippisch. Tanja sieht mich erstaunt an: „Okay, okay! Du bist also immer noch sauer. Richtig untypisch für dich!“ „Wieso das denn?“ Langsam fängt sie echt an zu nerven! „Naja, früher warst du nie so nachtragend.“ „Na und?“, murre ich zurück. Ich habe wirklich keine Lust mehr, diese Unterhaltung weiterzuführen. „Du hast dich wirklich komplett verändert in diesem einen Jahr, in dem ich dich nicht gesehen habe. Früher warst du viel offener, humorvoller und fröhlicher. Außerdem hast du nie besonders auf ein ,sexy‘ Outfit geachtet und überhebliche, allzu modebedachte Tussis verabscheut, die sich davor zieren, sich die Hände schmutzig zu machen. Und schau dich jetzt an! Jetzt trägst du bauchfreie Tops, einen viel zu kurzen Rock und High Heels. Von deinem fast schon übertriebenes Make-up ganz zu schweigen! Und seit wann bedienst du deine Freundinnen so, als wärst du ihr persönlicher Lakai?“ Also, das reicht jetzt! Ich will gerade Widerspruch erheben, da bringt Tanja mich zum Schweigen: „Lass mich bitte erst zu Ende reden! Du trägst deinen Freundinnen alles hinterher. Du bringst ihnen die Getränke und das Essen, während sie einfach nur auf ihrem Platz sitzen und auf dich warten, weil sie zu faul sind, es selbst zu tun. Heute Morgen hast du ihnen sogar die Schultaschen zum Klassenzimmer getragen. Und vorhin im Unterricht hast du Ashley doch den Hefteintrag mitgeschrieben, richtig? Weil sie ja unbedingt ihre Serie auf ihrem Handy anschauen musste. Weißt du, was ich glaube? Ashley und Kiara wollen nur so gern mit dir befreundet sein, damit du ihre Arbeit erledigen kannst. Und du machst ja auch alles, was sie dir sagen, ohne zu merken, dass sie dir deine Freiheit genommen haben. Beziehungsweise hast du sie ihnen unbewusst geschenkt! Du bist viel zu toll, um dich an andere Leute zu verschenken! Mach dich frei von ihnen! – Jetzt muss ich aber los, Lisa und Julia warten schon auf mich.“ Und damit dreht sie sich um und lässt diesmal mich fassungslos dastehen. Ich habe meine Freiheit verschenkt! Was soll das denn bitte heißen? Man kann doch seine Freiheit nicht einem anderen überlassen. Also bitte! Wieso denkt sich Tanja überhaupt so etwas aus? Bestimmt will sie meine Freundschaft mit Ashley und Kiara zerstören und deshalb erzählt sie solche Unverfrorenheiten. Aber das werde ich nicht zulassen! Und dennoch – obwohl ich fest entschlossen bin Tanjas Lügengeschichten nicht weiter zu beachten, gehen mir ihre Worte noch den ganzen Tag lang durch den Kopf.
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Die nächsten Tage verbringe ich damit, mich und mein Verhalten zu beobachten. Und obwohl ich anfangs so sauer wegen Tanjas Behauptung war, verstehe ich nun immer mehr, was sie damit meinte, ich sie unfrei. Erst jetzt wird mir klar, dass ich innerhalb eines Jahres meine ganze Persönlichkeit verloren habe. Ich mache nicht mehr die Sachen, die ich eigentlich machen möchte, ich style mich so, wie ich mich eigentlich nicht stylen möchte, und ich verhalte mich so, wie ich es normalerweise nicht tun würde. Noch dazu kommt, dass ich Ashley und Kiara wirklich alles hinterhertrage und für sie erledige. Wie konnte ich das ein ganzes Jahr nicht bemerken? Wie kann man sich nur so stark von anderen Personen beeinflussen lassen? Eigentlich habe ich mich das ganze letzte Jahr wie ein Roboter verhalten. Ich bin ein Mensch, der seine ganze Persönlichkeit und die Freiheit in all seinen Entscheidungen, alles was ihn ausgemacht hat, verloren hat. All das wird mir jetzt auf einen Schlag bewusst! Ich fühle mich gerade wie ein Luftballon, aus dem man die Luft herausgelassen hat. Genauso leblos! Wie konnte ich ein Jahr lang so leben? Wieso habe ich das die ganze Zeit nicht bemerkt? Aber welche Frage noch viel wichtiger ist: Wie soll ich das jetzt ändern? Schließlich sind Ashley und Kiara die einzigen „Freundinnen“, die ich habe. Wenn ich sie jetzt verlieren würde, hätte ich gar keinen mehr, mit dem ich reden könnte. Freiheit hin oder her. Abgesehen von den beiden interessiert sich ja keiner für mich. Außer vielleicht Tanja. Genau Tanja! Ich könnte ja vielleicht mit ihr reden. Schließlich ist sie ja extra meinetwegen auf meine Schule gegangen. Aber nach unseren Auseinandersetzungen am Dienstag ... Trotzdem ist und bleibt sie nun einmal die einzige Person, mit der ich über diese Angelegenheit reden könnte. Nach einigem Überlegen entscheide ich mich trotz eines unwohlen Bauchgefühls dafür, mit ihr zu sprechen. Ihre Nummer habe ich von der Klassengruppe, zu der sie natürlich schon hinzugefügt worden ist. Also hole ich mein Handy und schreibe: Hi, Tanja! Tut mir leid wegen Dienstag. Können wir reden? Prompt kommt eine Nachricht von ihr zurück, die ich gespannt lese: Ja klar! In zehn Minuten an der Eisdiele? Freudig und erleichtert antworte ich: Ja, gerne! Bis gleich! Und dann schnappe ich mir mein Fahrrad und fahre los zur Eisdiele.
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„Du wolltest also mit mir reden?“, fragt Tanja zwischen zwei großen Löffeln Schokoladeneis. Die Worte sprudeln nur so aus mir hervor: „Also ... Am Anfang war ich richtig sauer wegen deiner Behauptung, ich hätte meine Freiheit verschenkt, aber dann hab ich gemerkt, dass du recht hast. Ich hab ein Jahr lang als eine andere Person gelebt, na ja, eigentlich als niemand! Und jetzt weiß ich nicht, wie ich meine Persönlichkeit zurückbekommen kann, ohne dass ich meine einzigen Freundinnen verliere und ...“ Schluchzend hole ich Luft. Während ich gesprochen habe, haben sich Tränen in meinen Augen gebildet, die nun hemmungslos an meinen Wangen herunterfließen. Das ist einfach alles zu viel! Auch Tanja schaut mich betroffen an und nimmt mich in den Arm: „Hey, Liz! Das wird schon wieder! Lass den Kopf nicht hängen! Schau, wir machen es so: Du sagst Ashley und Kiara ab jetzt auch mal deine Meinung und lässt dir nicht alles von ihnen gefallen. Wenn sie dich dann nicht mehr mögen, haben sie Pech gehabt! Und wenn die anderen aus unserer Klasse erstmal sehen, wie du wirklich bist, werden sie dich auf jeden Fall mögen! Außerdem hast du ja immer noch mich. Das heißt, wenn du wieder mit mir befreundet sein willst.“ Ich nicke, immer noch weinend. „So, und jetzt wisch erstmal die Tränen ab!“, tröstet mich Tanja und reicht mir ein Taschentuch. Dankbar nehme ich es entgegen. Es fühlte sich gut an, jemanden auf seiner Seite zu haben, der für einen da ist. Vielleicht schaffe ich es mit ihrer Hilfe ja doch wieder, alles in die richtige Bahn zu lenken.
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Am nächsten Morgen ziehe ich mir das erste Mal seit langem eine bequeme Jeans, einen dünnen Oversize-Pulli und Sneakers an. Ach, es fühlt sich gut an, endlich mal eine Entscheidung für sich ganz allein zu treffen! Und keine Ashley und Kiara wird es schaffen, dieses Gefühl zunichtezumachen. Als ich in den Bus einsteige, höre ich schon den entsetzten Aufschrei von den beiden: „Was hast du denn für Klamotten an? Das sieht ja schrecklich aus!“ Grinsend antworte ich: „Also ich finde es schön so.“ Meine Freude wird noch größer, als ich ihre verblüfften Gesichter sehe. „Na gut“, meint Ashley etwas säuerlich, „ also wir wollen heute ins Nagelstudio gehen. Wir holen dich dann um circa drei Uhr ab.“ Jetzt oder nie!, denke ich und hole tief Luft: „Nein, tut mir leid, aber ich habe heute schon vor, mit Tanja joggen zu gehen.“ Sprachlos sehen die beiden mich an, unfähig ein Wort zu sagen. Ich genieße diesen Moment in vollen Zügen. Schließlich entgegnet Ashley schnippisch: „Wenn du meinst. Wir werden uns auch ohne dich amüsieren!“ Dann macht das!, denke ich vergnügt. Es tut gut, wieder etwas selbst zu bestimmen! Den ersten Schritt, mir meine Freiheit zurückzuholen, habe ich getan. Es liegen zwar noch viele schwierige vor mir, aber mit Tanjas Hilfe würde ich das bestimmt schaffen. In diesem Moment fühle ich mich einfach nur so glücklich und frei ...
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