Ein Traum

Florian Mändl (Klasse 9b im Schuljahr 2019/2020)
Schanzer Schreibwettbewerb 2020 – 1. Platz in der Altersgruppe 7.–9. Klasse
 

Ein Traum?!

Gewidmet
unserem Kaffeevollautomaten „Nivona“
und meinen Eltern, die dachten,
„sie“ würde das Leben vereinfachen

Ich bin frei. Frei geboren. Ein freier Mensch. In einem freien Land. Dachte ich.

Paul kam von der Arbeit nach Hause. Es war wieder spät geworden. Müde ließ er sich auf seine Couch fallen. Es war ein Arbeitstag wie jeder andere gewesen: Sein Chef hatte ihn genervt, sein Computer gesponnen und seine Kaffeemaschine wieder nicht funktioniert.

Seine Smart-Home-Assistentin Romy begrüßte ihn: „Guten Abend, Paul, willkommen zurück! Du hast 25 neue E-Mails, 14 neue Nachrichten auf Whatsapp, die Wash&Dry-Maschine ist fertig und der Staubsauger hat das Wohnzimmer gesaugt.“ Seit es diese neue Funktion bei den Smart-Home-Assistenten gab, die sie dazu befähigten, ihre Besitzer über alles zu informieren, was zu Hause passiert war, redeten diese Dinger beinahe ununterbrochen. Allerdings waren die Benachrichtigungen schon fast ein Befehl: Wenn man neue Nachrichten hatte, musste man sie lesen, sonst nervte der Smart-Home-Assistent ihn alle zehn Minuten mit dieser Information und zwar mit zunehmend energischem Ton. Genauso war es auch, wenn er die Wash&Dry-Maschine nicht leerte bzw. den Staubsauger nicht aufräumte. Paul zog also gehorsam sein Smartphone aus der Tasche und las seine Nachrichten durch. Sein Chef hatte ihm schon wieder einen Haufen Arbeit aufgebrummt. Er stöhnte genervt und legte sein Smartphone weg. Doch kaum hatte er das getan, meldete sich Romy zu Wort: „Paul, du hast vergessen, Lisa wegen des morgigen Treffens zurückzuschreiben.“ Paul nahm also sein Smartphone nochmals zur Hand und tippte eine Zusage. Er brummte: „Ist erledigt.“ „Paul, soll ich dir eine Erinnerung für morgen früh erstellen und den Termin in deinen Kalender eintragen?“, fragte Romy. Paul erwiderte: „Kannst du machen.“

Nachdem er sich um seine Nachrichten gekümmert hatte, versuchte Paul das zu genießen, was man Freizeit nannte. „Romy, starte bitte den TV und zeige mir die Programmliste!“ Romy führte Pauls Anweisungen aus. Paul entschied sich schließlich für eine Dokumentation über die Geschichte der Digitalisierung und wie sie langsam unseren Alltag und alles, was wir tun, zu kontrollieren begann. Interessiert versuchte er, sich auf die Doku zu konzentrieren. Das war allerdings schwierig, weil ihm seine Smart-Home-Assistentin im Nacken saß. Romy beschwerte sich darüber, dass sich Paul heute zu wenig bewegt habe, was in einem Bürostuhl aber auch schwierig war. Außerdem solle Paul auch endlich etwas essen. Schließlich gab er jede Hoffnung auf einen entspannten Fernsehabend auf und ging in die Küche.

Paul begann, sich Abendessen zu kochen. Dank moderner Technik musste er nur das, was er essen wollte, auf dem Display seiner Cooking-Machine auswählen und dann die Zutaten dazu einwerfen. Der Rest ging ganz von selbst. „Wie mühevoll muss früher die Nahrungszubereitung gewesen sein!?“, dachte Paul. „Man musste Nahrungsmittel waschen, schälen oder schneiden und dann auf einer Maschine namens Herd erhitzen. War man unachtsam, konnte das Essen anbrennen! Das Leben ist durch die Automatisierung des alltäglichen Lebens doch so viel einfacher geworden! Und wie viel mehr freie Zeit man so hatte!“ Noch während Paul sinnierte, piepte die Cooking-Machine und die Mahlzeit war fertig. Doch in dem Moment, in dem er gerade anfangen wollte zu essen, beschwerte sich Romy: „Paul, du hast vergessen, die Wash&Dry-Machine auszuleeren.“ Es half nichts. Er ging in den Hauswirtschaftsraum und kümmerte sich um das Gerät. „Das hat aber lange gedauert!“ stand neben einem genervten Smiley auf dem Display der Wash&Dry-Machine. Als er sich um seine Wäsche kümmerte, ging ihm der Titel der Dokumentation nicht mehr aus dem Kopf. „Die Geschichte der Digitalisierung – und wie sie unser Leben bestimmt“. Irgendwie haben sie ja Recht, dachte er sich. Die digitalen Geräte haben zu viel Macht über uns.

Nachdem er alles erledigt und gegessen hatte, ging Paul todmüde zu Bett. Seine Smart-Home-Assistentin begann, ihm seinen morgigen Tagesablauf vorzulesen. Doch noch während diese redete, schlief Paul ein.

Paul wachte auf. Die Weckfunktion seiner Smart-Home-Assistentin simulierte einen Klingelton. Draußen regnete es. Romy begrüßte ihn: „Guten Morgen, Paul! Du hast 24 neue E-Mails und 32 neue Whatsapp-Nachrichten bekommen. Heute ist Samstag, der 26.07.2054, 7:30 Uhr; es hat 24 Grad Celsius bei Sonne mit vereinzelten Regenschauern. Momentan regnet es. Da heute dein freier Tag ist, hast du Zeit, dich um den Haushalt zu kümmern. Die Wash&Dry-Machine muss dringend gereinigt und das Haus geputzt werden. Um 18:00 Uhr bis du mit Lisa im Stadtpark verabredet. Vorher musst du allerdings noch deine Präsentation für das Meeting am kommenden Donnerstag fertigstellen. Ich wünsche dir einen schönen Tag!“ Müde schleppte sich Paul runter in die Küche. Wieso hatte ihn Romy schon jetzt geweckt? Er hatte doch die Weckfunktion auf 8:30 Uhr und nicht auf 7:30 Uhr gestellt? Egal, jetzt war er schon wach. Er ging zur Kaffeemaschine und wollte sich seinen schönen, heißen Morgenkaffee kochen, doch kaum hatte er die Kaffeemaschine eingeschalten, leuchtete ihm auf dem Display des Gerätes in fetten roten Buchstaben entgegen: „Wasser nachfüllen! Wasserfilter wechseln!“ „Na bravo! Der Tag fängt ja wieder großartig an!“, stöhnte Paul. Dieses Ding musste ihm echt schon den Samstagmorgen verderben. Er ging also zum Schrank und wollte einen neuen Filter für die Kaffeemaschine holen, nur um festzustellen, dass er keinen Filter mehr hatte. „Romy, setze Wasserfilter auf die Einkaufsliste für heute Vormittag!“, knurrte Paul genervt. Also kein Kaffee. Er ließ sich von seiner Cooking-Machine einen Nutella-Toast zubereiten und trank ein Glas Orangensaft dazu.

Nachdem er gefrühstückt und sich fertig für den Tag gemacht hatte, ging es an die Arbeit. Er wusste, dass er erst alle To-Dos erledigen musste, bevor er seinen Samstag genießen konnte, sonst würde ihm Romy keine Ruhe lassen. Er zog sich also seine Jacke an und wollte los zum Einkaufen, doch gerade, als er das Haus verlassen wollte und sich wunderte, warum er die Türe nicht öffnen konnte, meldete sich Romy zu Wort: „Paul, du musst noch deine Nachrichten lesen!“ Paul brummte genervt und ließ sich auf die Sitzbank im Flur fallen. Er zog sein Smartphone aus der Tasche und überflog seine Nachrichten. Es war wieder nichts Wichtiges dabei. Dann startete er zum Einkaufen. Als er eineinhalb Stunden später wieder zurückkam – er hatte die blöden Wasserfilter nicht gleich gefunden –, leuchtete auf dem großen Display im Flur schon seine nächste Aufgabe: „Wash&Dry-Machine reinigen!“ „Paul, du bist nicht mehr im Zeitplan! Du hast eine halbe Stunde zu lange im Supermarkt gebraucht!“, motzte Romy mit ungewöhnlich patzigem Unterton. Seit wann plante Romy seinen Tag so auf die Minute genau? Das war seltsam. „Ich hab die Filter erst nicht gefunden!“, erwiderte Paul. „Du hättest im Supermarkt den automatischen Shopping-Assistenten nutzen können! Wer außer dir ist so altmodisch, dass er die Dinge selber in den Regalen sucht?“, entgegnete ihm Romy vorwurfsvoll. „Du musst dich jetzt beeilen, wenn du heute pünktlich mit der Präsentation fertig werden willst, die du noch zu machen hast.“ „Ist recht….“, sagte Paul und räumte seine Einkäufe auf. Vorsorglich kümmerte er sich gleich auch um seine Kaffeemaschine, damit sie sich nicht wieder beschwerte. Als er sich jedoch gleich einen Kaffee kochen wollte, da er heute Morgen ja keinen bekommen hatte, ging die Kaffeemaschine plötzlich aus und Romy beschwerte sich: „Jetzt ist keine Zeit für einen Kaffee! Du musst die Wash&Dry-Machine reinigen!“ Paul war verdutzt. Seit wann konnte Romy seine Haushaltsgeräte sperren? Er beschwerte sich – „Das hast du nicht zu bestimmen!“ – und wollte die Kaffeemaschine wieder einschalten, doch es ging nicht. Also stapfte Paul, wütend knurrend, in den Hauswirtschaftsraum, um sich um das Gerät zu kümmern. Nebenher bemerkte Romy: „Paul, achte auf deine Wortwahl!“ Das tat sie doch sonst nie!

Die Wash&Dry-Machine wartete schon ungeduldig auf Paul. Ein wütender Smiley auf ihrem Display signalisierte ihm, dass er nach Ansicht der Waschmaschine schon wieder zu lange brauchte. Eilig begann Paul, die Filter der Maschine zu säubern. Er dachte daran, wie gut die Entscheidung doch gewesen war, nur bei seiner Smart-Home-Assistentin die Sprachfunktion aktiviert zu haben und nicht bei sämtlichen Geräten. Sonst müsste er sich noch mehr Gemecker anhören. Wie das wohl die anderen Leute aushielten? Sie gaben ihren Haushaltsmaschinen meist sogar Namen und redeten mit ihnen, als wären sie keine Geräte, sondern lebendige Wesen! Paul lehnte das ab. Allein seiner Smart-Home-Assistentin und dem Staubsauber hatte er Namen gegeben, aber nur, weil Romy einfach kürzer war als Smart-Home-Assistentin. Der Staubsauger hieß Waldi, weil er sich wie ein dickköpfiger Dackel benahm. Während Paul seinen Gedanken nachhing, erinnerte ihn Romy daran, dass er vor seinem Treffen mit Lisa noch das Haus zu putzen hatte. Dabei fiel ihm ein, dass er seinen Anzug für heute Abend noch waschen musste. Nachdem er mit seinen Reinigungsarbeiten an der Wash&Dry-Machine fertig war, legte er seinen Anzug und noch andere Klamotten hinein und schloss die Maschine. Doch gerade, als er das Schnellwaschprogramm starten wollte, verriegelte sich die Waschmaschine und auf ihrem Display leuchtete ihm folgender Schriftzug entgegen: „Brauche eine Auszeit!“ Dann schaltete sie sich ab. Paul starrte ungläubig auf das schwarze Display. Er tat alles, um die Maschine wieder einzuschalten oder sie wenigstens dazu zu bringen, sich zu öffnen, aber vergebens. Er konnte es nicht fassen: Dieses Gerät hatte gerade seinen Anzug gefressen und wollte ihn nicht wieder hergeben! Verzweifelt rief er nach Romy: „Romy, hilf mir, die Wash&Dry-Machine gibt meinen Anzug nicht zurück! Sag ihr, sie soll aufgehen!“ Doch Romy meinte nur: „Die Maschine ist erst in voraussichtlich drei Stunden wieder bereit zu arbeiten. Da kann ich auch nichts machen!“ Paul war entnervt: Es war schon 12:00 Uhr. Wenn das Gerät erst in drei Stunden anfangen würde zu waschen, also um 15:00 Uhr, es dann bis um 15:45 Uhr wusch und der Anzug dann auch noch getrocknet und gebügelt werden musste, konnte das mit dem Treffen echt knapp werden.

Ihm blieb also nichts anderes übrig, als der Waschmaschine ihre Auszeit zu lassen, und er beschloss, sich etwas zum Mittagessen zu machen. Eigentlich wollte er sich heute mal etwas Feines gönnen: eine große Portion Chicken Nuggets. Doch seine Cooking-Machine zwang ihn dazu, einen Gemüseauflauf zu essen, da er sich diese Woche schon so ungesund ernährt habe. Noch schlechter gelaunt als vorher machte sich Paul also daran, das Haus zu putzen. Dies verlief zunächst ohne weitere Probleme, außer dass der Staubsauger Waldi mittendrin beschloss, keinen Akku mehr zu haben und eine halbe Stunde zu laden. Darüber hinaus wurde er immer wieder von Romy damit belästigt, dass er neue Nachrichten habe, und sie den Staubsauger dann so lange deaktivierte, bis er seine Nachrichten gelesen hatte. Das bescherte Paul ein etwas unheimliches Gefühl, da Romy das gestern noch nicht gekonnt und er keine Information über ein neues Update erhalten hatte. Alles in allem kostete ihn die Putz-Aktion ganz schön viel Zeit und es war schon 16:00 Uhr, bis Paul endlich fertig damit war. Zu seiner Erleichterung hatte sich die Wash&Dry-Machine endlich dazu herabgelassen, seinen Anzug zu waschen und mit dem Trockenvorgang zu beginnen.

Vor seinem Treffen mit Lisa wollte Paul noch duschen gehen. Als er jedoch sein Bad betreten wollte, war die Türe abgeriegelt. „Paul, du musst jetzt deine Präsentation fertigstellen!“ Er erwiderte – sichtlich verstört davon, dass seine Smart-Home-Assistentin jetzt schon Türen verriegeln konnte –, was sie denn wolle: „Warum denn heute? Ich hab doch bis Donnerstag Zeit?!“ Romy entgegnete ihm jedoch: „Dein Chef möchte allerdings am Montagmorgen deine Präsentation vorab haben. Er möchte vermeiden, dass du sie wie immer erst am letzten Abend erstellst und unter Zeitdruck ein suboptimales Ergebnis lieferst. Paul, deine Arbeit ist wichtig!“ Resigniert gab Paul auf und setzte sich an den Computer. Nachdem er eine Stunde an der Präsentation gearbeitet hatte, beschloss Paul, dass es Zeit war, loszufahren. Er ging in den Hauswirtschaftsraum, bügelte über seinen Anzug, bevor er ihn anzog, und wollte gerade zur Haustüre hinausgehen, als diese sich plötzlich versperrte und Romy feststellte: „Du bist noch nicht mit deiner Präsentation fertig. Deine Arbeit ist wichtiger als dieses Treffen.“ Paul merkte, wie Zorn in ihm aufstieg. Wütend rief er: „Wer hat das zu entscheiden?!“ „Ich entscheide das für dich und helfe dir damit, im Job vorwärtszukommen. Du musst jetzt die Präsentation fertigschreiben.“ „Hör auf, mich ständig mit Arbeit zu terrorisieren! Ich kann hingehen, wo ich will, und ich darf machen, was ich will. Schließlich bin ich ein freier Mensch! Außerdem ist mir dieses Treffen wichtiger als meine Arbeit!“, schrie Paul. Da erwiderte Romy betont sanft: „Paul, du bist gestresst und überfordert. Dein Blutdruck und dein Puls sind stark erhöht. Paul, ich mache mir Sorgen! Dein Adrenalinspiegel lässt auf ein erhöhtes Aggressionspotential schließen. Du stellst eine Gefahr für dich und andere dar! Zu deinem eigenen Wohl musst du heute für den Rest des Abends zu Hause bleiben.“ Das regte Paul noch mehr auf. Wütend trommelte er gegen die Tür. „Mach sofort diese Türe auf!! Ich bin frei und haben das Recht, hinzugehen, wo ich will, mit wem ich will und wann ich will!!!“ „Paul, ich werde dir etwas zur Beruhigung geben!“ Plötzlich wurde alles um Paul schwarz.

Paul schreckte hoch.

Gott sei Dank, er hatte nur geträumt. Erleichtert richtete sich Paul im Bett auf. Die Weckfunktion seiner Smart-Home-Assistentin simulierte einen Klingelton. Romy begrüßte ihn: „Guten Morgen, Paul! Du hast 24 neue E-Mails und 32 neue Whatsapp-Nachrichten bekommen. Heute ist Samstag, der 26.07.2054, 7:30 Uhr; es hat 24 Grad Celsius bei Sonne mit vereinzelten Regenschauern. Momentan regnet es. Da heute dein freier Tag ist, hast du Zeit, dich um...“

Paul stutzte. Moooment! Er hatte doch nur geträumt… ?!

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