Glück
„Der einzige Wunsch, den alle Menschen gemeinsam haben, ist, dass das Leben gut werde. Jeder möchte glücklich sein.“ Diese Worte wählte Richard Breun als Auftakt des Themenhefts „Glück und das gute Leben“ der Zeitschrift Ethik&Unterricht (2/2017).
Zahlreiche Bücher und Zeitschriftenartikel sind bereits über das Glück geschrieben worden und in manchen Bundesländern ist „Glück“ sogar ein verpflichtendes Schulfach. Das persönliche Glück zu finden ist dennoch eine Herausforderung.
Im Ethikunterricht der Oberstufe begeben wir uns bei der Suche nach dem Glück auf eine Zeitreise – beginnend mit den Glückskonzeptionen der griechischen Antike bis hin zur modernen empirischen Glücksforschung.
Florian Mändl (Q12) hat sich dem Thema „Darf man Menschen zu ihrem Glück zwingen?“ gewidmet und seine Gedanken beim 24. Landes- und Bundeswettbewerb Philosophischer Essay 2022 eingereicht. Er erzielte den 2. Platz im Bayerischen Landeswettbewerb und durfte als einer der 26 besten Essayisten im Bundeswettbewerb an der Philosophischen Winterakademie in Münster teilnehmen. Wir gratulieren ihm herzlich für diese beachtliche Leistung!
Darf man Menschen zu ihrem Glück zwingen?
Florian Mändl
Es ist wohl ein Traum, der alle Menschen von Kindheit an eint: Kein Hunger, keine Krisen, kein Krieg mehr auf der Welt. Anders gesagt: Der Traum, alle Menschen glücklich zu wissen. Mit dem Erwachsenwerden verlieren jedoch viele diese kindliche Wunschvorstellung – verdrängt durch die Realität der alles andere als perfekten und glücklichen Welt – aus den Augen. Meist lebt dieser Traum trotz aller Realität dennoch in jedem irgendwo als stumme Sehnsucht weiter, allerdings ohne jede Hoffnung auf Erfüllung. Wie aber wäre eine Erfüllung – mal außer Acht gelassen, dass sie sehr unrealistisch ist – überhaupt zu schaffen, entsteht einem doch oft der Eindruck, viele arbeiten gegen das Glück – das der Mehrheit wie das eigene? Offenbar stehen sie mit ihrem Verhalten dem Traum vom Glück entgegen – scheinbar sogar ihrem persönlichen Glück! Darf man Menschen deshalb aber zu ihrem Glück zwingen?
Der Versuch, kollektives Glück herbeizuführen, wurde schon in großem Maßstab gewagt – und zwar durch die Umsetzung von Ideologien: Beispielsweise schreibt sich der Kommunismus nicht zuletzt auf die Fahne, Glück für die Menschen zu bringen, und seine Verfechter schrecken zu seiner Umsetzung sogar vor Zwang und Gewalt nicht zurück. Allein jedoch, dass die Anwendung dieser Mittel zur Umsetzung der vermeintlich glückbringenden Ideologie notwendig ist, zeigt indes bereits deutlich, dass sie wohl nicht wirklich Glück bedeutet – sonst würde sich keiner dagegen wehren, denn welches Interesse hätte ein Mensch, sich gegen sein Glück zu wehren? Der Kommunismus macht mit Blick auf das Glück der Menschen zwei fatale Fehler: Erstens geht er davon aus, dass Glück etwas Kollektives ist, nicht etwas Individuelles – so, wie Menschen in dieser Ideologie nicht als Individuen betrachtet werden. Dies ist insofern fatal, als dass Menschen nun mal Individuen sind, und damit auch individuelle Bedürfnisse haben, um glücklich zu werden –, was in einem Staat, der alle Menschen und damit ebenso ihre Bedürfnissen zum Erreichen von Glück als gleich betrachtet, dazu führt, dass die Menschen unglücklich werden, da ihnen die Freiheit nicht gewährt wird, ihre eigene Glücksvorstellungen zu verwirklichen. Damit zusammen hängt überdies die zweite Fehlannahme: Der Kommunismus glaubt zu wissen, was das Beste für die Menschen ist – und jede andere Vorstellung vom Besten für den Menschen wird als falsch und fehlgeleitet abgestempelt und muss unterdrückt werden, da sie dem kollektiven Glück entgegensteht. Die Menschen werden alles in allem zum Glücklichsein – im Sinne von „kollektiv glücklich wirken“ – gezwungen, sind aber nicht glücklich. Glück ist also etwas individuelles – Zwang zu kollektivem Glück führt folglich zum Unglück des Individuums, da schon diese wichtige Grundlage nicht verstanden wurde – woraus folgt, dass Glück durch Zwang in ein kollektives Glücksideal folglich nicht zu erreichen ist.
Um nun herauszufinden, ob man einen Menschen individuell zu seinem Glück zwingen darf, muss man zunächst einmal evaluieren: Was ist überhaupt Glück für das Individuum? Und: Kann ein Mensch überhaupt glücklich sein? Grundsätzlich ist klar: Alle Menschen haben Bedürfnisse, Sehnsüchte und Wünsche, die in ihrer konkreten Beschaffenheit meist so individuell sind wie jeder Mensch selbst. Deren Erfüllung ist für einen Menschen notwendig, um glücklich zu werden, wobei einige Grundbedürfnisse – wie unter anderem Bedürfnisse nach Nahrung und Sicherheit – existieren, die allen Menschen gemein sind. Die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse zu gewährleisten, muss Aufgabe der Gesellschaft und des Staates sein – auf anderem Weg sind diese Grundbedürfnisse nicht zu stillen, da der Staat ein funktionierendes Zusammenleben gewährleisten muss, während die Gesellschaft für sich sorgt, also jeder einen Teil zum Wohl aller beiträgt und durch Gerechtigkeit davon profitiert. Der Staat und die Gesellschaft bestehen wiederum aber aus Menschen – die auch glücklich sein wollen, womit diese sich trotz ihres Verlangens, ihr individuelles Glück zu erreichen, für die Gesellschaft einsetzen müssten. Dies stellt allerdings keinen Widerspruch zum individuellen Glück dar, vielmehr ist es die Grundlage dafür: Das Glück anderer zu fördern oder zumindest nicht durch Egoismus und Rücksichtslosigkeit zu verhindern, sorgt für die Entstehung einer positiven Atmosphäre und einer konfliktfreien Gesellschaft – wobei durch die daraus resultierende Sicherheit das eigene Glück sogar gefördert wird. Der individuelle Einsatz für das Glück der anderen ist also ebenso ein Einsatz für das eigene Glück. Letztlich entsteht eine das Glück fördernde Spirale: Durch die positive Atmosphäre in der Gesellschaft erfolgt zunächst eine positive und gesellschaftsfreundliche Beeinflussung des einzelnen Menschen und langfristig sogar eine positive Beeinflussung der Glücksvorstellungen der Menschen. Diese entwickeln sich aufgrund ihrer positiven Erfahrungen insbesondere bei jungen Menschen dann zugunsten der Gesellschaft, da menschen- und gesellschaftsfeindliche egoistische – also „negative“ – Glücksvorstellungen, die durch negative Erfahrungen entstehen – wie aus Verbitterung infolge einer negative Gesellschaftserfahrung beispielsweise die Annahme resultieren könnte, Rache sei Glück – minimiert werden. In der Folge wird wiederum das Gesellschaftsklima besser, woraufhin die Glücksvorstellungen der Menschen wieder gesellschaftsfreundlicher werden – diese Spirale setzt sich fort. Kurzum ist es dann also Glück, sich in der Gesellschaft einzubringen, womit auch kein Zwang zur Sicherung der Grundlage für Glück notwendig ist. Diesen Ausführungen liegt die Annahme zugrunde, dass ein Mensch immer in eine Gesellschaft eingebunden ist, folglich das Glück des Individuums nicht ohne die Gesellschaft und das Glück der anderen, die Gesellschaft wiederum nur mit Rücksicht auf das Glück der in ihr lebenden Individuen gedacht werden kann.
Damit dieser Prozess in Gang kommen kann, ist eine menschen- und gesellschaftsfreundliche Sozialisation notwendig – diese sollte über Denkanstöße, aber ohne Zwang die Kinder und Jugendlichen zu der Erkenntnis bringen, dass die Gesellschaft notwendig und dem eigenen Glück durch die über sie stattfindende Sicherung der Grundbedürfnisse der Menschen sogar förderlich, kurzum also etwas Positives ist, während menschenfeindliches Verhalten über dessen negative Wirkung auf die Gesellschaft und damit die eigenen grundlegenden Bedürfnisse das eigene Glück gefährdet. Dies alles stellt eine positive Grundlage für die Erfüllung des individuellen Glücks dar, da so die Grundbedürfnisse aller gesichert sind und zugleich die Gesellschaft als Glück wahrgenommen wird.
Über diese grundsätzlichen Bedürfnisse hinaus ist Glück für jeden Menschen allerdings höchst verschieden, was allein schon die sehr unterschiedlichen Ansätze der verschiedenen Philosophen im Laufe der Zeit, welchen Weg es einzuschlagen gilt, um zum Glück zu gelangen, zeigen. Damit es dabei durch einander überschneidende Interessen jedoch nicht zu Interessenskonflikten und damit zu Unglück kommt, kommt hier die letzte wichtige Aufgabe des Staates zur Schaffung der Grundlagen von Glück zum Tragen: die Schaffung eines Gesetzes, das Gerechtigkeit für alle gewährleistet und zugleich für größtmögliche Freiheit bei der Entfaltung der individuellen Glücksvorstellung ermöglicht. Es handelt sich somit auch beim Gesetz um keinen Zwang, da es ja das eigene Glück gewährleistet. Da folglich die Alternative zum Gesetz Unglück wäre, werden sich die Menschen freiwillig daran halten und somit ihr Glück sichern – da das Gesetz dem eigenen Glück nicht entgegensteht, ist es mit diesem problemlos vereinbar, somit auch kein Zwang. Indes stellt sich die Frage – da ja, wie schon erwähnt, etliche verschiedene Ansätze für Wege zum Glück existieren: Woher weiß ein Mensch, was ihn zum Glück bringt?
Grundlage, um dies zu erkennen, ist eine bereits oben beschriebene freiheitliche Sozialisation, die die Basis zur Erkenntnis des eigenen wahren Glücks schafft. Sie ist notwendig, um eine negative Einstellung der Gesellschaft gegenüber und damit eine aus den daraus folgenden Konflikten erfolgende fehlgeleitete, negative Glücksvorstellungen zu verhindern, da ein Erkennen des absoluten Glücks für einen selbst nicht mehr möglich ist, wenn die Erkenntnisfähigkeit durch negative Erfahrungen schon getrübt und das Ergebnis der eigenen Glückssuche somit verzerrt wurde. Allerdings wird die eigene Glückssuche immer von anderen – vielleicht nicht unbedingt negativen Einflüssen – verzerrt, da man zum Beispiel glauben könnte, der Weg zum Glück eines anderen sei auch der Weg zum Glück für einen selbst. Mindestens wird der Mensch aber durch solche bereits existierende Ideale beeinflusst und eventuell dabei vom Weg zu seinem ganz eigenen Glück abgebracht. Ein Einfluss von außen ist jedoch nicht verhinderbar, wenn man in einer Gesellschaft lebt, und selbst ein Leben in absoluter Isolation wäre in irgendeiner Form ein verzerrender Einfluss auf die eigene Glücksvorstellung. Außerdem ist das Umfeld des Menschen und auch der Mensch selbst in stetem Wandel begriffen, der mit dem Vergehen der Zeit einhergeht – selbst, wenn sich scheinbar überhaupt nichts an den formalen Gegebenheiten des Umfelds eines Menschen ändern sollte, so vergeht doch die Zeit, der Mensch und sein Umfeld werden älter. Und das wiederum führt eben zu stetem Wandel: Der Mensch wird reifer, versteht mehr, mit der Zeit ändern sich seine Bedürfnisse und damit seine Glücksvorstellung. Da also der Mensch und somit seine Glücksvorstellung in stetem Wandel begriffen sind und sich durch die steten Veränderungen seines ihn beeinflussenden Umfeldes unaufhaltsam verändern, ist die Glücksvorstellung niemals greifbar und allgemein immer verzerrt. Somit kann sich ein Mensch zwar an sein absolutes Glück annähern, es aber nicht vollständig erfassen.
Man kann nun also behaupten: Der Mensch weiß nicht, was das Beste für ihn ist. Man darf ihn jedoch trotzdem nicht zu seinem Glück zwingen, da ein Individuum selbst immer noch besser als alle es umgebenden weiß, was das Beste für es ist, da die Wahrnehmung von einem Menschen durch eine andere Person und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen für einen Menschen über einen anderen durch etliche Einflüsse auf die Wahrnehmung und das Urteilsvermögen dermaßen verzerrt sind, dass die Wahrnehmung des Glückssuchenden selbst immer am ehesten am wahren Glück für den Suchenden sein wird.
Folglich darf man einen Menschen also nicht zu seinem Glück zwingen: Da man es nicht kann. Es zu versuchen, ginge mit der Anmaßung einher, zu wissen, was das Beste für einen Menschen ist. Dies kann indes niemand besser wissen als ein Mensch selbst, womit man ihn durch den Zwang zu dem, was man als Außenstehender für das Glück für jemanden hält, in Wirklichkeit eher zu Unglück zwingt, da das Glück, das der Mensch für sich erkennt, bei seiner Umsetzung für ihn größeres Glück bedeuten würde. Außerdem ist der Zwang zum Glück ein Widerspruch in sich: Da jeder Zwang, da gegen den Willen eines Menschen geschieht, zu einem Konflikt und damit zu Unglück führt, kann er kein Glück mit sich bringen. Und selbst wenn das Erzwungene – auch wenn es niemals das Beste für einen Menschen sein könnte – eine Verbesserung der Situation darstellen sollte, macht es einen Menschen trotzdem noch unglücklicher: Niemand könnte so glücklich sein, da er in diese Situation gezwungen wurde und diese somit immer mit dem durch den Zwang entstandenen Unglück verbunden sein wird – eine Art „verletzter Stolz“ des Menschen wäre die unvermeidbare Folge.
Da man Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen kann, weil man es nicht kennt und durch Zwang nur Unglück verursachen würde, darf man es nicht. Stattdessen sollte man versuchen, die Menschen durch Bildung, Sozialisation und Gesetze so zu beeinflussen, dass ihre Glücksvorstellungen einem geordneten, friedlichen Zusammenleben nicht entgegenstehen – also keine negativen Glücksvorstellungen entstehen – dennoch aber frei und individuell bleiben, sodass jeder das wahre Glück für sich möglichst unverzerrt erkennen kann – kurzgesagt: Wer das Glück für die Menschen möchte, sollte ihnen einfach nur die Grundlage geben, es zu erkennen. Denn durch die oben genannten Grundlagen finden Menschen ihr Glückideal, das als positives Glücksideal mit dem Glück anderer und funktionierenden, das heißt die Grundbedürfnisse für Glück sichernden Gesellschaft vereinbar ist, die dadurch wiederum das Ausleben dieses Glücks ermöglicht. Das Glück des Individuums und das Glück der Gesellschaft müssen also immer miteinander gedacht werden und fördern einander sogar. Dafür genügt einzig ein „Schubs in die richtige Richtung“, um die Entwicklung positiver Glücksideale zu fördern. Folglich erweist sich der „Zwang zum Glück“ als überflüssig, zumal er aufgrund seiner Unmöglichkeit nicht erlaubt ist, da er Menschen aufgrund falscher Annahmen nur unglücklich macht.
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